16.04.2020
Zähle nicht die Tage, damit jeder Tag zählt… diese Redewendung habe ich einem Filmchen von Roland entnommen. Danke Role.
Ja, jeder Tag zählt, und ich geniesse die Tage. Plötzlich stehe ich in Kontakten mit Leuten, welche ich schon sehr lange nicht mehr gesehen habe. Und ich kann sie lebendig sehen, SocialMedia macht’s möglich. Und Resu singt mir gar ein Lied vor. So cool. Ich höre Neuigkeiten von Jie (währenddem sie kocht), aus der Stube meiner Eltern, aus der Schullandschaft, aus dem Sportbereich des Damenfussballs, von den Homeoffice Arbeiten, aus der Schweizerarmee… Mit Wichtrach, Basel, Australien, Neuseeland, Indonesien, Thailand, Deutschland, USA, Columbien, ja mit der ganzen Welt stehe ich in Kontakt.
Und doch… da fehlt etwas…
Aber das finde ich heute Nachmittag. Ich fahre die Norrish Creek Forest Service Road, eine unbefestigte Staubstrasse hoch. Dann biege ich in einen abenteuerlichen Weg zum Norrish Creek ab.
Und dort steht ein alter Geländewagen, ein junges Pärchen macht ein Feuer. Dieses Plätzchen und der Fluss mit den imposanten Granitsteinen und die ganze Ambiance mit diesen zwei jungen Leuten macht mir Freude – und bald kommen wir in ein Gespräch. Es ist ein sehr herzlicher und offener Austausch, die beide haben den Job verloren, sind aber zuversichtlich, ich erzähle meine Situation, bin auch zuversichtlich…
Und vielleicht stehen wir auch näher, als wir sollten. Aber gerade diese Nähe, das nahe Lächeln, die nahe Freude in den Augen, die unmittelbaren Reaktionen und die spürbaren Empathien, diese Schwingungen ohne irgendwie ausweichen, ohne eine Flucht in die Gegenrichtung antreten zu müssen – diese Bereitschaft sich gegenüber zu stehen, beieinander zu bleiben… genau das fehlte mir in den letzten Tagen.
Dieser Tag zählt. Doppelt!
17.04.2020
Die neue Abwasserleitung hinter dem Haus ist erfolgreich verlegt, das Erdreich wieder verteilt, und die Abfallhalde zum Recycling aufgeteilt. Am Montag wird das Zeugs in einer Mulde abgeholt. Der Hausbesitzer hat die Gebäude im Jahr 2018 gekauft und seither entrümpelt. Der Vorbesitzer sei Alki gewesen, und hätte einfach alles um das Haus herum gelagert, ohne irgendwann mal etwas zu entsorgen.
Super, und ich habe mir ein paar Gratistage hier erarbeitet, ein Geben und Nehmen… Zudem war es eine Art Fitnesstraining – auch nicht schlecht.
18.04.2020
Heute hat Premierminister Trudeau verlauten lassen, dass die Kanada/USA Grenze weitere 30 Tage geschlossen bleibe. Er hat es sehr vorsichtig begründet: Um die Menschen hüben wie drüben zu schützen. Darauf hätten sich beide Länder verständigt, sagte der kanadische Ministerpräsident.
Das bedeutet jedenfalls, dass ich kaum über die Grenze nach Alaska zu meinem Bruder komme… es sei denn… mal sehen.
Bis zum 27.04. bleibe ich in dieser Wood-Lodge.
19.04.2020
Von gestern auf heute hat sich ganz im Osten Kanadas eine Attentat ereignet. Man geht von 18 Toten aus. «At least 18 people have been killed in a mass shooting in Nova Scotia – the deadliest such attack in Canada’s history. The suspected gunman was dressed as a police officer and had disguised his car to look like a police vehicle.«
Wiederum ein Akt sinnloser Gewalt – so traurig. Erst am Donnerstag haben mir die jungen Leute am Fluss erzählt, dass Kanada ein recht strenges Waffengesetz habe, und deshalb kaum Überfälle und Gewalt wie auf der US Amerikanischen Seite zu erwarten seien.
Was ist mit der Welt los?
20.04.2020
Gestern habe ich im Übrigen lustige „Grenzerfahrungen“ gemacht – aber durch das traurige Ereignis von gestern hat mir aber jeglicher Antrieb gefehlt, darüber zu schreiben.
Ich bin am Nachmittag der Kanadisch-, Amerikanischen Grenze entlang gefahren, die ist unweit von hier.
Es hat mich erstaunt, dass Trumps Mauer hier oben gänzlich fehlt. Man könnte einfach etwas durch den Wald spazieren, oder gar mit weniger Aufwand auf die andere Seite gelangen: Irgendwo am Strassenrand stehen glänzende Pföstchen, auf der Nordseite steht Canada drauf, auf der Südseite entsprechend United States of America.
Diese Grenze zieht sich pfeifengerade von Vancouver bis weit in die Provinz Manitoba, mindestens 2000km lang. Das entspricht fast der Luftlinie Bern Moskau. Diese entstand 1846 aufgrund des Oregon Kompromisses zwischen Grossbritannien und den USA. Die Grenzziehung ist hier so gerade, weil sie schlicht dem 49. Breitengrad entlang führt.
So bin ich also zumindest 3 Schritte in den USA gestanden, im USA Gebüsch, denn, sorry, ich musste mal…
Es ist wirklich mühsam, dass überall die öffentlichen Toiletten wegen des Covid-19 abgeschlossen sind, in Parks, an Bahn- und Busstationen, an Tankstellen, in den Ortschaften… und auch die Restaurants sind selbstverständlich zu. Einfacher für Männer und «worst» für Frauen.
A propos Breitengrad… so wahnsinnig nördlich ist Vancouver gar nicht – es entspricht etwa der Lage von Heidelberg.
21.04.2020
Die Einkaufszentren sind gross und zumeist umsäumen die grossen Gebäude mit den grossen Eingangsbereichen grosse Parkplätze, dort wo all die grossen Pickups stehen. Und die grossen Menschen schieben die grossen Einkaufswagen vor sich hin – aber immer mit grossem Abstand zum Vordermenschen. Ja und wie sollte das anders sein: Alle Packungen sind auch gross. Es ist schwierig, Fleisch, Käse unter 500gr zu bekommen. Die Joghurts sind riesig. Und wenn ich mal eine süsses Gebäck kaufen möchte, so sind da drin nicht zwei Stück, sondern eben gerade zehn.
Klar, es gibt auch Sachen in kleineren Mengen, man sollte ja nicht masslos übertreiben. So sind die gemahlenen Espresso Kaffees klein und teuer, auch Früchte und Gemüse kann man einzeln kaufen. Aber die Einkaufs Gepflogenheiten sind definitiv amerikanisch. Und so muss ich acht geben, nicht in eine neue weitere Kategorie von Risikogruppen zu rutschen, nämlich in die der Fettleibigkeit…
Doch zu erwähnen bleibt: Hier sind Übergewichtige deutlich in Minderheit. Der grösste prozentuale Anteil der Bevölkerung von Vancouver stammt aus China. Und asiatische Menschen sind oft schlanker, die meisten ernähren sich ja auch gesund.
Notabene, Vancouver hat auch einen Nicknamen: HongCouver.
22.04.2020
Ein Regentag, doch es regnet nicht stark, einfach so, dass man noch einen kleinen Ausflug wagen kann. Ich fahre zum Cultus Lake – ein beliebter Ausflugsort, unweit von hier auf der anderen Seite des Fraser Rivers.
Es hat dort auch Wanderwege in grossen Naturparks, ich gehe davon aus, dass diese geschlossen sind. Und das bestätigt sich.
Bizarr ist der Hauptort am See, eine richtige kleine Geisterstadt. Die kleinen Holzhäuser stehen zumeist leer, die Strassen sind menschenlos, die Geschäfte geschlossen, die touristischen Infrastrukturen mit Ketten abgesichert, die Bootsstege leer, kein Schiffchen auf dem See…
Man stelle sich Merligen ohne Menschen vor. Ich wandere nicht lange durch das Dorf, es ist mir zu unangenehm, es fühlt sich an wie in einem der Top Ten Endzeitfilme (die ich übrigens am TV immer gerade wegzappe).
Ich parkiere später 5km weiter am See. Und mache ein paar Bilder. Nicht lange, ein weisser Pickup hält, und eine nette Rangerin erklärt mir, dass ich hier nicht sein dürfe. Der ganze See sei Naturschutzgebiet, und geschlossen.
Dann gibt sie mir eine Reihe schönster Gebiete an, wo man sogar übernachten könnte… Leider ist es zu spät, und mein Waldhaus wartet.
23.04.2020
FIGUGEGL. Das war so eine Werbekampagne, vor Jahren. Eine Abkürzung für den Satz «Fondue isch guet und git e gueti Luune». In einer Aplhütte schaute man durch ein beschlagenes Fesnter, drinnen waren ein paar Leute gemütlich beim Fondueessen.
Im Auto hole ich heute eines von vier übrig gebliebenen Fondue Beutelchen. Und bald riecht es herrlich – wie eben in der Alphütte. Meine Brotresten tunke ich in das wunderbare Käsedings, eine Wohltat.
Und irgendwann habe ich das Gefühl, dass ich nicht ganz alleine bin. Vor dem Fenster schaut mir jemand über die Schulter. In der FIGUGEGL Manier. Meister Petz persönlich. Also so ein wenig erschrocken bin ich doch, vor allem weil der Kleine auch mit seinem Bruder und der lieben Mama auf der Terrasse steht.
Etwas zittrig mache ich ein paar Bilder*, und dann fasse ich etwas Mut und schreie die Bärchenfamilie an. Sie verschwinden zwar von der Terrasse, bleiben aber beim Einfahrtsweg genüsslich beim Abfall und räumen ziemlich krass aus. Eigentlich habe ich immer gedacht, dieser Abfalleimer sei nicht wirklich bärensicher.
Tja, Resu meinte, es habe ja nicht jeder seinen eigenen Bärenpark. Das stimmt…
Ich bin fast sicher, dass die wiederkommen. Doch den Abfall habe ich nun zusammengelesen und im Kellergeschoss eingeschlossen.
24.04.2020
Wie wird das wohl in naher Zukunft sein?
Ich gehe heute in einen Einkaufskomplex, um eine neue und günstigere SIM Karte zu erstehen. Dazu ziehe ich meine Gesichtsmaske an. Plötzlich wird es mir richtiggehend bewusst, dass die Kommunikation mit der Maske einfach irgendwie schwieriger ausfällt, das Gegenüber ist nicht gleich einfach erreichbar wie sonst.
Stimmt: Wir sprechen normalerweise ja mit dem ganzen Gesicht, mit der Mimik. Und die Kontraktion der Gesichtsmuskeln findet vor allem im Bereich der Augen und des Mundes statt. Und insbesondere auch der Mund verrät deinem Gegenüber viel über deine Gefühlslage… Und der ist jetzt plötzlich abgedeckt, eine Gesichtshälfte einfach neutralisiert.
Ein Lächeln wirkt freundlich und offen, und es lässt eine Person gleich sympathisch wirken und hilft dabei, besser ins Gespräch zu kommen.
Ich nehme die Maske weg und brauche das ganze Gesicht. Die Stimmung wird ganz anders, und ich werde auch anders bedient.
Was passiert mit uns, wenn wir uns nur noch mit Masken in der Öffentlichkeit bewegen: Werden wir alle zum «Anonymous«?
25.04.2020
Ich beschliesse, dass ich am 27.04. hier aufbreche um in Etappen zu Hans nach Lillooet zu fahren… und dort möchte ich «Nägel mit Chöpf mache». Ich brauche Gewissheit, brauche ein Datum und muss die Heimreise anpacken können. Das Warten ist erträglicher, wenn man sich ein Ende dessen vorstellen kann. Das Telefongespräch mit Hans war ein erster Schritt dazu… Danke!
26.04.2020
Längere Zeit werde ich wohl mit Familie und mit den Freunden nicht mehr so ohne weiteres kommunizieren können. Heute wird die Chance dazu genutzt. Aber auch „Geschäftliches“ ist zu erledigen: die Steuerbehörden wollen irgendwelche Belege zum Umbau 18 – aber das Büro ist telefonisch nicht zu erreichen. Von den Opodo erwarte ich Rückzahlungen (insbesondere weil sie von den American Airlines schon fast 500$ kassiert, aber nicht weitergegeben haben) – aber ich stehe so lange in der Warteschlange, dass ich irgendwann aufgebe. Und immer wieder bietet sich ein Chat mit einem Robot an. Aber wenn mir bei den Robot Chats die Geduld nach 15 Minuten reisst, so verleiten solche Robots dazu, doofe Sätze zu formulieren und die sonderbaren Reaktionen abzuwarten. Nicht gut.
Auch Salt fordert mich mit falsch verrechneten Tarifen – aber auch diese sind nur mit Mails erreichbar.
Ach, was solls, jetzt werden die letzten Sachen werden zusammengeräumt, das blaue Fässchen, welches als Waschmaschine gedacht wäre und nun zum T-Shirt Aufbewahren dient und das lange Zelt werden aufs Dach geschnallt; morgen fahre ich ab.
Richtung Hans und Ruth in Lillooet. Ich freue mich.
27.04.2020
Ich fahre von Maple Ridge Richtung Chillwack Tal, und finde an der Foley Creek Forest Service Road (Holzfällerstrasse) einen wunderschönen Platz direkt am Chillwack Fluss.
Nun bin ich also wieder etwas unterwegs, und es ist anders. Denn sehr schnell gewöhnt man sich an Bequemlichkeiten, an die vielen Räume, an den breiten Herd um Nachtessen zu kochen und an den feierlich gedeckten Tisch, an den Genuss eines Glases Sizilianischen Weines, an den informellen Surf im Internet um spät nachts noch mal Infos aus der Welt sammeln, und dann an das bärensichere Bett, um den tiefen Schlaf zu finden…
Ja, und nun ist es anders. Und die häusliche Wärme fehlt auch. Im nächsten Jahr muss ich wenn irgendwie möglich das Reisen in Kanada und Alaska auf den Sommer timen. Nun lasse ich fürs erste die Standheizung hinten ein paar Stunden laufen. Und das lustige ist: Die Heizung, welche sonst unerträglich laut rumpelt, zischt und heult ist wegen des lauten Flussrauschens gar nicht erst zu hören.
28.04.2020
Vom Chillwack See fahre ich über den Fraser River auf die andere Seite nach Harrison Hot Springs. Dass diese „Hot Springs“ geschlossen sind, davon bin ich natürlich ausgegangen. Leider. Aber nicht, dass auch die ganze Seepromenade, bzw. auch die Parallelstrasse zuvor „ab-gegittert“ worden ist.
Es ist unmöglich, auch nur in die Nähe des Sees zu kommen. Das habe ich nun wirklich nicht vermutet.
So nehme ich halt das Mittagessen im Auto ein, denn eine offene Essbude gibt’s auch keine, und begnüge mich also mit etwas Brot, Käse, einer Banane, etwas Weinbeeren und heissem Tee aus der Thermosflasche.
Später fahre ich der Ostseite des Harrison Sees entlang. Auch da sind alle „Recreation Sites“ (wie dir Campingplätze heissen) geschlossen. Verschiedene Nebenstrassen führen bergauf, ich teste eine mit zugeschaltenem Vierradantrieb, und da gibts ein paar Übernachtungsmöglichkeiten. Aber grundsätzlich ist es am See schöner, und irgendwann finde ich einen einzigen Platz ohne Absperrbänder und ohne Affichen.
Kein Mensch weit und breit. Sogar im Holzfällerlager weiter vorne ist kein Mensch zu sehen.
Es ist schon eigenartig, dass die Ruhe, die viel gepriesene Natur pur diesmal eher schwer zu ertragen ist. Ich kann höchsten Selbstgespräche führen, es gibt auch keinen Empfang für das Telefon, kein Netz. Nada.
Das Plantschen der Wellen, das Glucksen zwischen den Steinen, etwas Wind in den Bäumen und ein paar Vogelstimmen sind die einzigen akustischen Begleiter, es ist sonst still – und sogar die Sonne versinkt wie immer lautlos…
29.04.2020
Es ist definitiv kein Reise Feeling. Wenn wir jetzt zu zweit wären, so hätten wir jetzt den Kaffee gekocht, das Tischchen gedeckt und die Stühle aufgeklappt, die letzten Käsestückchen geteilt, das Frühstücksei mit Herbamare überstreut und das Deutsche Brot, welches sich so nennt, genossen.
Wir hätten uns ausgetauscht, den Tag geplant und auf den wunderschönen See geschaut… und es hätte wohl eine Weile gedauert, bis wir abgefahren wären.
Ich fahre weiter, Richtung Norden. Gute und schöne, offene Plätze zum Übernachten finden sich auch heute durchaus, dieses Mal am Scuzzy Creek.
Aber ein glücklicher Lonesome Cowboy wie in der berühmten Zigarettenreklame bin ich definitiv nicht, auch kein Lonesome Camelboy eben… und auch nicht, wenn ich heute in einem Indianer (sorry… First Nation) Gebiet übernachte. Ich richte mich zwar gemütlich ein, koche, und mache sogar ein Lagerfeuer. Ich erzähle mir selber meine Lagerfeuergeschichten, aber diese anzuhören, bereitet mir Mühe.
30.04.2020
Ich „cruise“ die rund 120km nach Lillooet, zuerst auf dem Trans-Canada Hwy, dann auf dem Hwy No 12… es hat sehr wenig Verkehr, ein paar lange Lastwagenzüge, die Fahrer winken freundlich, wenn ich ihnen Platz mache.
Denn ich fahre kaum über 70km/h, geniesse die wundervolle Landschaft mit den beeindruckenden Schneebergen.
Auf einem Abstellplatz hält ein Truckfahrer mit Turban neben meinem Auto. Wir sprechen auf eine Distanz von mindestens 8m miteinander. Ich hätte seinen Tag gerettet, meint er zum Abschluss des Gesprächs. Ein schönes Kompliment.
Gerade auf dem letzten Stück fallen die Steilhänge mit vielen Felsstürzen auf, die Strasse windet sich an den nicht zu befestigenden Geröllhalden entlang, die Warntafeln, welche auf brüchige Gesteinsbrocken hinweisen, reihen sich sehr dicht nacheinander auf, und ab und zu liegt ein faustgrosser Stein auf der Fahrbahn…
Plötzlich wird das Tal weiter, und eine langezogene Brücke führt über den Fraser River in das Dorf Lillooet. Ich werde von Ruth und Hans sehr liebenswert empfangen.