Berichte 16.07. – 31.07.2022

16.7.2022

Jies Onkel, Li Ruo lebt in der Nähe von Wedowee Alabama, das ist ein kleines Dorf mit einigen touristischen Einrichtungen. Es hat Seen, die zum Fischen und zur Erholung einladen. Und riesige Waldgebiete, welche fast urwaldähnlich anmuten.

Er hat sich damals mit seiner Frau ein Haus gekauft, mit der Idee eine gesunde Umgebung für seine kränkelnde Frau zu finden. Das Haus liegt zwar unweit einer Strasse, die mässig befahren wird, aber einen willkommenen Anschluss an die Einkaufsmöglichkeiten darstellt.

Ansonsten steht das Haus mit einem kleinen eigenen Park inmitten unendlicher Wälder. Die teils massiven Bäume sind zumeist einheimische Eichen. Vögel und andere Tiere sind die einzigen Nachbarn, weitere Häuser sind nicht zu sehen.

Das Haus ist stattlich, wirklich gross, ein vornehmer Holzbau. Kürzlich ist eine Eiche vor dem Haus gekippt und hat die Haupttreppe zerstört. Als begnadeter Handwerker hat Li Ruo die Treppe neu gebaut, ein ansehnliches Werk. Auch sonst hat er sehr viel am Haus renoviert, den ganzen Holzbau mit Lasur bearbeitet und wenn notwendig das Holz ersetzt, die Traufbretter und Dachteile neu gemacht… und auch die Inneneinrichtungen sind grösstenteils sein Werk.

Viele Möbel sind selbst aus der gefallenen Eiche geschreinert, wunderbare Werke. Aber Li Ruo ist hauptsächlich ein sehr talentierter Künstler. Er lebt von der Ölmalerei und hat sich in den USA einen guten Namen gemacht. Zum Teil verkauft er seine Bilder über Galerien, aber er versucht auch mit anderweitigen Motiven direkt auf den Markt zu kommen. Die Galerien kassieren an die 50%, und die Motive, welche er über diese verkauft darf er selber nicht konkurrenzierend direkt vermarkten.

Und er macht denn auch seine Bilderrahmen selbst.

 

17.7.2022

Büroarbeiten und administrative Vorhaben rufen. Ich schreibe Mails, SMS, telefoniere und suche einige Bilder aus, um diese hier zu posten.

Und versuche die restlichen Tage etwas zu planen.

Zunächst mal die Reise nach New Orleans, die Übernachtungsmöglichkeiten, und alles «Nice to See». Und dann sollte ich eben spätestens am 10.7. in Yampa sein, um dort das Kamel für die Winteruhe vorzubereiten. Eine schwierige Vorstellung, bei den Temperaturen hier.

Nun denn, bisher bin ich durch viele Staaten gefahren, Montana, Idaho, Wyoming, Minnesota, South Dakota, Wisconsin, Illinois, Missouri, Arkansas, Tennessee, Mississippi, Alabama – es liegen noch Louisiana, Arkansas, Oklahoma, Kansas und Colorado vor mir. Bis Yampa sind es rund 3700 km, so meine Berechnungen.

 

 

18.7.2022

Eine leichte Erkältung macht sich bemerkbar. Am Samstag habe ich arg geschwitzt, wir haben die ganzen Äste und Wurzelteile der riesigen Eiche weggeräumt, und während dieser 5 Stunden war es sehr heiss und feucht zugleich.

Mit dem durchnässten T-Shirt bin ich dann ins Haus gegangen. Doch dort fühlte es sich an wie in einem Kühlschrank – wie überall es in Amerika Brauch ist, hat auch der gute Onkel die Klimaanlage auf der höchsten Stufe laufen lassen. Und durch die zahlreichen Lüftungsschlitze verbreitet sich die Kälte rasant im ganzen Haus aus. Das bin ich mich nicht gewohnt, denn schliesslich hat das Kamel keine Klimaanlage, und ich geniesse jeweils die heisse Luft, die mich durch die offenen Fenster im Cockpit umströmt. Das ist fast so schön wie ein Hotspring Aufenthalt…

Und Li Ruo stellt bereits lächelnd fest, dass ich dann so auf keinen Fall weiterreisen könne. Er hat mir auch schon vorgeschlagen, mindestens einen Monat hier zu verweilen.

Ich glaube, es ist für ihn nach all den langen einsamen Tagen eine Wohltat, mit jemandem den Alltag teilen zu können. Li Ruo hat vor zwei Jahren seine liebe Frau verloren, und ich kann gut seine Einsamkeit fühlen. Beziehungen zu Nachbaren gibt’s hier keine, sein Englisch hält sich in Grenzen. Er geht denn auch kaum ins Dorf.

Fahre also am Mittwoch und verschiebe die Abreise um einen Tag.

 

19.7.2022

Li Ruo macht selber Tofu, spannend… und dann vor allem gut. Es gibt sogar eine Anleitung auf Deutsch, wenn es jemanden interessiert.

Na ja, hier in Wedowee gibt es wenig für die Chinesiche Küche zu finden, ausser man pflanzt es selber, bzw. stellt es selber her. Zwei drei kleine Geschäfte hat es da, zum Beispiel Perryland Foods Store oder einen kleinen Organic Market. Oder dann fährt man schon mal 76 Meilen (das sind 122 km) zum nächsten Supermarkt. Aber da gibt es mittlerweile eine zusätzliche Lösung, und davon macht Li Ruo regen Gebrauch. Es gibt Anbieter wie Am… und Fe… (will da nicht Reklame machen). Da lässt sich alles bestellen, und die bringen das ganz schnell vorbei. 1-3 Tage, dann sind gar Chinesische Gewürze hier.

Ja und abfahren?… ich verschiebe um einen weiteren Tag.

 

20.7.2022

Die Erde ist hier rot, eher leicht und ausgetrocknet, hat offenbar grossen Säuregehalt, nährstoffarm und ist für viele Pflanzen schlecht. Offenbar für Eichen nicht. Li Ruo kultiviert eigene Erde, aus dem eigenen Kompost zum Beispiel.

Heute graben wir zahlreiche Löcher in den steinigen roten Boden um dann die langen Bohnen zu setzen, welche er selber gezogen hat.

Wir finden dauernd spannende Gespräche, und unser Austausch ist bedeutsam, was unsere Familie anbetrifft.

Ich solle bleiben, sagt er immer wieder. Einen Monat oder so… aber das ist leider unmöglich, mein Rückflug gebucht, und ich habe doch noch eine grössere Strecke zu bewältigen.

Kommt mir das Lied in den Sinn… «Möchte ja so gerne ruhn und bleiben,

Aber der Wagen rollt»… oder wie ging das schon.

 

 

21.7.2022

Musik hören, endlose Gedankengänge, ich fahre auf der Autobahn, auf der Interstate 65 Süden.…

Hier ein paar Fragmente aus diesem gedankenvollen Cruisen auf der Autobahn….

Die Amerikaner fahren mehrheitlich eigentlich sehr vorsichtig, zaghaft, vor allem in den Städten oder Ortschaften. Und bei den gelben Schulbussen. Wenn ein Schulbus mit blinkenden Lichtern überholt wird, so drohen Höchststrafen.  die Stopstrassen sind lustig, ein absolutes Chaos. Nach dem Prinzip: First come, first serve. Nicht der von rechts hat Vortritt. Vortritt hat, wer zuerst da war. Und das scheint manchmal nicht mehr ganz so klar, wenn 8 Autos auf jeder Seite warten. Man bleibt dann einfach stehen, und irgendwie löst sich der Knoten immer.

Wow, aber der, wow, das ist ein Clown… Spurwechseln ist abenteuerlich hier. Wenn eine Spur gewechselt werden muss wird’s heikel… die kommen von rechts und links, doch keiner lässt dich rein… in den Autobahnauffahrten heisst es: warten bis am Schluss. Und weisse Linien sind nur Spurhinweise. Offensichtlich kann man diese auch überfahren. Nur die doppelten gelben nicht. Eventuell nicht, auch das ist nicht so klar. Zum Überholen sind die doppelten Gelben ein Tabu. Aber nicht zum Abbiegen, so sagte mir kürzlich ein Sheriff. He nu, das Kamel fährt auch ab und zu etwas nach Gefühl.

Abfallsäcke liegen hier nun seit 5km fast in regelmässigen Abständen, Absicht?… Sehr oft liegen Fahrzeugteile, Befestigungsmaterialien oder halbe Ladungen auf der Strasse.

Ausweichen?… Hmm, da muss man besonders vorsichtig sein. In Idaho muss man mindestens 5 Sekunden geblinkt haben, bevor man eine Richtung wechseln kann.

Überhaupt sind in allen Staaten die Gesetze und Regeln anders. Es gibt Staaten, wo Motorradfahrer keinen Helm aufhaben müssen, in einem Staat muss man sich gar nicht mal anschnallen. In einigen Saaten darf man keine Unterwäsche aufhängen. In anderen gar keine Wäsche. Im Westen ist Marijuana legal, in anderen Staaten geht man für ein Gramm 2 Jahre ins Gefängnis. Fast überall darf man auf gar keinen Fall schnell mal hinter einem Baum ein kleines Geschäft verrichten. Oder draussen die Badehose anziehen. Das sind strafbare Sexualdelikte.

Es gibt Staaten, wo man nicht an einem Fahrzeug auf dem Pannenstreifen unmittelbar auf der Spur vorbeifahren darf: Es muss auf die Überholspur gewechselt werden.

In gewissen Staaten darf man immer rechts abbiegen, auch bei Rot. In anderen nur wenn es signalisiert ist, wieder in anderen nie. Oder wenn es blinkt, oder bei einem grünen Pfeil. Wenn es nicht klar ist, so wartet das Kamel einfach, bis hinten einer hupt. So machen das die Kamele…

Meine Erkältung hat sich eher verschlimmert. Nach Nase und Hals folgt… Husten. So geht das immer. Ich bin so groggy, dass ich beschliesse, wieder auf einer Autobahnraststätte zu bleiben.  Guter Entscheid.   Ich schlafe gut, Und es sieht hier sicher aus. Auch wenn Edi mir zurecht schriebt: Beim Onkel wäre es wohl schöner gewesen.

 

22.7.2022

Heute geht’s halt noch ein paar Kilometer bis New Orleans, 435km. Doch noch bevor es eindunkelt bin ich in der Kamelschen Kajuete. Es röchelt und schniffelt in meinen Atemwegen, aber es gefällt mir auf dem Campingplatz «Jude RV Park», obwohl ziemlich im Zentrum der grossen Stadt. Hey Jude, don’t make it bad… Schnell gesund werden.

 

 

23.7.2022

Es geht auch «auf Sparflamme» diese kulturvolle Stadt zu erkundigen. Ich schleiche mich mal auf den touristischen Pfaden um die bekanntesten Ecken der Altstadt (French Quarter, Vieux Carré), ab und zu setze ich mich und komme sofort ins Gespräch mit Einheimischen. Es kommt mir vor, als würde ich in einem Dorf spazieren, jeder kennt jeden. Sie sprechen denn auch von «Neighborhood».

Auch bahne ich mir einen Weg durch die Bourbon Street, da brauche ich nur etwas husten, und schon ist alles frei vor und neben mir.

Auf einer halbstündigen Mauleselkutschenfahrt lasse ich mir wichtigste Bauten erklären. Eine bunte Mischung von europäischen Baustilen. Da waren mal Spanier, Franzosen, dann andere… wer mehr wissen möchte, kann sich hier ganz kurz informieren.

 

 

24.7.2022

Weitere Stadtbesichtigung. Vom Campingplatz aus fahre ich direkt mit einem Bus und dann mit der altmodischen Strassenbahn in die Stadt. In der Stadt begegne ich all den Jazz Grössen, King Oliver, Louis Armstrong, Mahalia Jackson. Viele Strassennamen kommen mir aus Blues- und Jazzmusik bekannt vor: Canal street Blues, St. Louis Blues, Moonwalk Blues, … es hat auch einen Musical Legends Park. Ich lasse mir viel Zeit. Bummle, raste, sitze, beobachte… In der Frenchmen Street bleibe ich bis weit in die Nacht hinein – auch morgens um die 2 findet man problemlos Strassenbahn und Bus.

Die Musik dort ist sehr vielseitig, jazzig vor allem, und hier in der Frenchmen ist alles viel weniger touristisch. Das Partyvolk bleibt in der Bourbon Street hängen.

Ein Farbiger spricht mich an, er sei arm, hätte zwei arme Kinder… seit Katrina eben….  Grundsätzlich verschenke ich nicht einfach so Geld, es ist schwer abschätzbar, wozu es dann auch gebraucht wird. Lieber kaufe ich etwas Gemüse oder Früchte ein und verschenke die dann direkt. Und im Kamel habe ich auch immer Kleider aus unsererem Familienbestand – welche ich ab und zu verschenke.

Es ist wirklich so, dass es der amerikanischen Regierung gleichgültig zu sein scheint, wer wo, wie und warum arm ist. Man muss sich eben selber zu helfen wissen, und jeder hat die Verantwortung, nicht arm zu werden. So ist es gleichermassen ein eigener Entscheid, arm zu sein. Selber schuld.

Nun gut, ab und zu lege ich einen Dollarschein in den Hut, im rechten Hosensack liegen solche bereit.

Doch der Familienvater erweicht mein Herz etwas mehr, und ich gebe ihm 5$ auf die Hand.  Seine Hand bleibt ausgestreckt… Ja, so ein Teller mit Pommes würden halt schon eben 9$ kosten…

 

 

25.7.2022

Katrina war fürchterlich. Immer wieder erzählen mir die Menschen, wie schlimm das war, und noch ist. Ende August 2005 fegte dieser Hurricane über die Stadt, mehr als 1.800 Menschen starben, Dreiviertel von New Orleans stand wochenlang unter Wasser, mehr als ein Drittel aller Häuser wurde zerstört.

Die Folgen sind auch heute noch sichtbar. Das touristische French Quarter ist fast vollständig wieder renoviert, doch anders sieht es in den ärmeren Vierteln aus. Ruinen stehen da, viele Häuser wurden abgebrochen und ein leerer Platz zeugt vom Standort.

Von ehemals rund 480.000 ist die Einwohnerzahl auf heute rund 390.000 gesunken. Viele der schwarzen Bewohner sind nach ihrer Evakuierung nicht zurückgekehrt. Manche fürchteten sich vor einer neuen Flut, einige haben in anderen Städten bessere Bedingungen gefunden. Geblieben sind viele weisse Jugendliche, die beim Wiederaufbau geholfen haben. (deutschlandfunk).

 

Ricola – wer hats erfunden. Um den nur noch seltenen Husten weiter zu stillen, kaufe ich mir eine solche gelbe Packung. Mit heimatlichen Gefühlen. Doch dann bleibt meine Zahnüberkronung kleben. Nun, da werde ich mir dann wohl einen Zahnarzt aufsuchen müssen. Eine neue Erfahrungsstufe in den USA.

 

26.7.2022

New Orleans liegt hinter mir. Seit langer Zeit fahre ich durch tiefgrüne Landschaften, teils bewohnt, teils von Sümpfen durchzogen. Und ab und zu gibt es auch eine Villa zu entdecken, mit weissen Säulen, so wie man das aus Südsaaten Filmen der Bürgerkriegszeiten eben kennt. Und die Sklaven Baracken sind denn auch nicht weit. Und immer noch scheint die Regel wie klar: In den grossen weissen Häusern leben die reichen Weissen. Und in den Bretterbuden oder in den Container ähnlichen Baracken eben die Schwarzen. Gut, fairerweise muss ich auch sagen, dass in den ärmlichen Häusern durchaus auch ärmere weisse Menschen oder Latinas wohnen.

Ich wage mich nicht, durch die langen privaten Wege zu den Häusern zu fahren um Bilder zu machen.

Ich richte mich auf dem Camping in Vidalia auf der West Seite des Mississippi ein. Super Campingplatz, für 17$. Mit Hotpot Pool. gerade richtig, bei den 32° abends.

Die Schwägerin der Campingzuständigen Frau sei Zahnärztin. Nach 5 Minuten habe ich einen Termin, ich fahre 3 Minuten zur Praxis hin, die Behandlung dauert 30 Minuten und kostete 90$, und meine Krone ist wieder aufgesetzt. 

 

27.7.2022

Den Mississippi überquere ich heute die letzten zwei Male. Und ich mache nochmals einen kurzen Abstecher in den Bundesstaat Mississippi auf der gegenüberliegenden Seite, in die Stadt Natchez.

Ich bestaune die prominenten, alten Häuser: Wie Schlösser stehen die da. Und in der Nachbarschaft eben die kleineren Hüttchen. Ein Museum, das die Sklaverei Zeit beschreibe habe leider heute geschlossen…

Und irgendwo ist ein Slogan aufgemalt: «Make America great again».

Ein umstrittener Ausspruch. Denn was genau bedeutet diese «again» jetzt? «Make America Great Again‘ means ‚Make America White Again.”, habe ich kürzlich irgendwo gelesen.

Interessant auch: Mississippi hat erst 2013 (!) die Sklaverei abgeschafft. Die Abstimmung war längst vollzogen, doch es fehlte noch ein Dokument.

Die fehlende Akte sei am 7. Februar 2013 offiziell nachgereicht worden – 148 Jahre nachdem der Besitz von Sklaven im Rest des Landes für illegal erklärt wurde.

Mississippi ist auch der letzte der Südstaaten, in dem die Flagge der Konföderierten noch immer über Postämtern, Schulen oder Polizeistationen weht. 

Trump ist der Mann der weissen Christen, der nicht aufhört, sich klar in Stellung zu bringen gegen Muslime, Mexikaner und Chinesen.

Und hier scheint er ein willkommener Geselle, denn  38 Prozent seiner Wählerinnen und Wähler in Mississippi gaben bei einer anonymen Befragung an, sie wünschten sich, der Süden hätte den Bürgerkrieg gewonnen, mit allen Konsequenzen für die Gleichberechtigung von Schwarzen.

 

28.7.2022

Ich tue mich etwas schwer, den Ruheplatz zu verlassen. Aber jetzt folgen wiederum ein paar Tage der grösseren Strecken. Weil ich den Campingplatz eher spät verlasse, fahre ich bis zum Eindunkeln Richtung Westen und Norden. Bei Conway entdecke ich einen schönsten See, ein Campingplatz ist in der Karte markiert. Doch leider sei der nur für Mitglieder. Und jeder weitere Meter (oder eben halt Fuss) am See ist privat. Kein Durchgang. Zäune, Stacheldraht, Hundeschilder und andere Drohungen. Das kann man vergessen. Ich fahre in den Ort und will mich bei Walmart einrichten. Denn dort ist das Übernachten immer bewilligt, und eine Toilette hat es auch. Zwei Hippies (diesmal jüngere) haben aber noch eine bessere Idee. Unweit davon gibt es ein Restaurant – und da darf man sich auch einrichten. Und es sei 24 Stunden Video überwacht und sicher. Ich melde mich dort, Andy hat enorm Freude… ich könne auch das Dach aufstellen… kein Problem. 

Ich werde bei ihm frühstücken, das ist schon mal klar.

 

29.7.2022

Übernachten war top, Frühstück auch. Es geht weiter nordwestlich. Lange lange Autobahn… Freeway… Und wieder kann ich meinen Gedanken nachhängen…
Schon eine selten gemeine Arroganz und Ignoranz… «Make America Great Again»… Mir kommen die 4 Millionen ermorderte Indianer in den Sinn, die 10 Millionen verschleppte Afrikaner, die zahlreichen nicht zu gerechtfertigenden Kriege*… Wann endlich gibt es hier mal eine soziale, gerechte Präsidentin mit dem Slogan: Make America Great and Fair. Da braucht es kein «Again».

Und ich kreuze das erste Mal die Route 66 bei Joplin. Dieser Rt66 werde ich morgen ein kleines Stück folgen, bevor es in Tulsa wieder weiter nördlich geht. Heute habe ich an einem Parkrand am Fluss ein gutes Plätzchen gefunden. Keine Verbotsschilder. Doch kaum habe ich mich eingerichtet, kommt so ein Gärtnerfahrzeug mit einer Spraykanone und einem grossen Giftfass aufmontiert und verdampft die ganzen Bäume. Hmm, gut, habe ich mein Sandwich schon gegessen. Schnell die Türen zu. Gute Nacht.

*gibt gar keine Kriege, die gerechtfertigt werden können. Nie!

 

30.7.2022

Die Route 66 ist nicht immer leicht zu finden. Die hat oftmals auch ganz viele andere Bezeichnungen. Mal heisst sie auch 40, dann 166, dann 68 gleichzeitig. Ab und zu gleicht sie einer Autobahn, mal ist es fast ein Feldweg. Grundsätzlich aber spannend, man hat ja immer was zu tun mit dieser Sucherei. Auch landschaftlich ist es schön, durch diese Farm Gegenden zu cruisen. Die Route 66 scheint aber auch schon viel bessere Zeiten gehabt zu haben. Das bezeugen historische Fotos und die vielen kleinen Tankstellen und Essbuden. Ich fahre an die 120 km der Route 66 von Carthage über Joplin, Miami, Vinita und Chelsea entlang. In Miami OK  hat es tatsächlich viele Hamburger Buden. Aber noch mehr sind die Kirchen da. Der Strasse entlang zähle ich nicht weniger als 64! verschiedene Kirchen und religiöse Hallen. Ist noch viel, auf ca. 13’000 Einwohner. Da ist die First Christian Church, Baptist Church, Methodist Church, First Assembly of God, Presbyterian Church, Grace Church, New Hope Church, Church of Christ, Bethany Christian Church, New Beginning Life Church, All Saints Episcopal Church, Community of Christ, Ministerial Alliance Church, Central Christian Church, Green Acres Baptist Church, Harvest Time Church, Hosanna Center, River of Live Assembly of God, Presbyterian Church… und so weiter. Nun, entweder sind die US Bürger fromm oder eben Heuchler. Oder beides.

In Miami ist ein Fest in Vorbereitung. Es hat viele Trump Stände. Irgendwo steht, er hätte die Wahlen gewonnen. Ich frage naiv nach… habe er denn nicht verloren, der Trump? Nein, aber die Kommunisten seien jetzt an der Macht. Ob er denn wisse, was Kommunisten seien? Ja klar, das seien die, die ihnen die Waffen wegnehmen wollen. Tja, mögen die vereinigten Götter all dieser Kirchen dem armen Mann helfen.

Und ich gehe zum Kamel und bleibe nicht zum Fest…

 

31.7.2022

Ganz sachte beginnt sich die Landschaft zu ändern. Es wird flacher, immer mehr setzt sich die wilde Prärie durch. Maisfelder und Weiden machen der ursprünglichen Natur Platz. Und dann hat es Tafelberge, rot und mit verschiedenen Schichtungen. Ich komme im Cheyenne Valley an.

Aber selbst die Prärie ist strassenseitig umzäunt, es gibt keine ausweichplätze, und der nächste Camping ist 65 km weit weg. Ich fahre an einem Wildwest Gehöf vorbei, nahe der Strasse sitzen Leute vor dem Haus. Ich wage ein Experiment, fahre leicht zurück und frage, ob es möglich wäre, mein Gefährt hinter der Scheune aufzustellen. Die Leute sind sehr freundlich und bitten mich zu ihnen zu setzen. Es gibt Bier und Hamburger, auf den Hamburger verzichte ich – hatte leider schon Abendessen. Mikes Freund hat Geburtstag, er ist heute 80 geworden, und als Geschenk bekommt er eine SIGG  Pistole. Er habe schon eine immense Waffensammlung, erzählt er stolz.

Die ganze Ambiance könnte nicht mehr an den Wilden Westen erinnern, ich fühle mich wie im Film. Es sind nicht diese Cowboys, die Hüte, die Stiefel, der Akzent, die Temperatur, die Umgebung, die Tiere, die Gerüche… wow. Wie im Film eben, das Erleben als Gesamtes.

Ich schlafe gut, im wilden Westen. Bin ja an einem äusserst sicheren Platz. Sollen die stoppelbärtigen schwarzhütigen Typen mit den weissen Colts nur kommen… no worries!